Welche grundlegenden Kompetenzen müssen Schulabgängerinnen und -abgänger besitzen, um ein Studium erfolgreich zu absolvieren?
Die Frage zeigt es eigentlich schon, weil Sie sie so allgemein stellen; ich möchte es aber trotzdem nochmal vorher sagen, dass wir natürlich – wie in der Literatur und der Studienfachberatungsszene üblich – zwischen zwei Arten von Kompetenzen unterscheiden. Einerseits gibt es die studiengangsbezogenen Kompetenzen. Diese sind das, was einem oft als erstes einfällt. So braucht man für bestimmte naturwissenschaftliche Studiengänge bestimmte Fähigkeiten, die in der Schule eher in den korrespondierenden Schulfächern wie Mathematik und den Naturwissenschaften vermittelt werden. Für andere Studiengänge bedarf es entsprechend anderer Fähigkeiten und damit Schulfächern. Das ist das eine und den meisten Leuten auch klar.
Ihre Frage zeigt schon, dass es da noch etwas anderes gibt, dass unabhängig vom gewählten Studienfach immer da sein muss. Diese Kompetenzen werden zunehmend wichtiger. Da ist zum einen ein hohes Maß an Selbstorganisation und an Selbstmotivation. Wir haben es an der Universität generell mit einem System zu tun, dass zum einen – mehr noch als die Schule – totale Selbstständigkeit von den Studierenden erfordert, auf der anderen Seite aber oft sehr stark reglementiert ist. Es gibt Fristen und Vorgaben wie man eine Hausarbeit zu schreiben hat. Es gibt relativ viele Spielregeln, gepaart mit einer hohen Selbstverantwortung, diese einzuhalten. Dafür muss man der Typ sein. Man muss daher darin geübt sein, sich an Spielregeln zu halten, Fristen einzuhalten, sich selbst Rituale und Prozesse zurechtzulegen, die sicherstellen, dass man diese einhält.
Dazu gehören auch Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Zurechtfinden in einem so strikt regulierten System den Studierenden dann leichter fällt, wenn sie begriffen haben, dass sie das nicht allein machen müssen. »Nicht allein machen müssen« im Sinne von es gibt Leute, die mit einem zusammen studieren – die kann man fragen. Darum muss man sich aber selbst kümmern. Allerdings auch »nicht allein« im Sinne von, es ist ein Zeichen von Schwäche, wenn man zu seiner Universität geht und fragt. Wir erleben es auch, dass diejenigen Studierenden, die frühzeitig begriffen haben, sich zu erkundigen, was es für Hilfsangebote gibt – damit man, wenn mal etwas nicht funktioniert, weiß, an wen man sich wenden muss – dass diese erfolgreich sind.
Es gibt aber auch diejenigen, die allein kämpfen. Das sind manchmal sogar die, die gerade ein besonders gutes Abi gemacht haben, weil sie an der Schule nie Hilfe gebraucht haben. Sie mussten sich nie um Nachhilfe kümmern, sie mussten nie jemanden um Erklärung fragen. Sie sind da immer straight durchgegangen und das gelingt niemandem an der Universität – da kann man noch so gut sein.
Wenn man dann gelernt hat, dass es dazugehört, dass man sich mal eine schlechte Note einfängt oder dass man vielleicht auch mal durchfällt und dass man dann nicht gleich glaubt: Oh Gott, dann bin ich wohl falsch in dem Studium. Sondern dass man in diesem Fall merkt, da braucht man offensichtlich Hilfe und muss jetzt schauen, wo man sie herkriegt. Die Prüfung wird dann wiederholt und danach ist es auch wieder gut. Dieser Ablauf ist ein entscheidender Unterschied: wenn man in der letzten Jahrgangsstufe eine Klausur verhaut, dann schlägt die bis zur Abiturnote durch. Wenn man im Studium eine Klausur verhaut, dann schreibt man sie nochmal. Wenn diese dann mit »Sehr gut« bestanden wird, ist das erste Durchfallen völlig egal. Das ist dann gelöscht und taucht nicht wieder auf. Das einzige, was dann interessiert, ist die gute Note im Zweitversuch. Ob man die gute Note im ersten, zweiten oder dritten Versuch hatte, interessiert niemanden. Dass müssen die Leute begreifen, dass es dazugehört, mal zu scheitern und dass man dann eben einfach die Motivation haben muss, sich da irgendwie reinzuknien, was dafür zu tun und vielleicht zu merken, dass die Lernstrategie falsch war oder das falsche Thema gelernt oder nicht verstanden wurde, was der Professor eigentlich wollte. Dann macht man das beim nächsten Versuch halt besser. Wer so drauf ist, wer das gelernt hat, der hat gute Karten, dass das gelingt mit dem Studium – unabhängig vom Fach.

Wird das Erreichen der Fähigkeiten, die Sie gerade ausgeführt haben, erfahrungsgemäß durch die aktuelle Schulausbildung ausreichend gefördert?
Ich erlebe schon, so wie ich das mitbekomme, dass Schulen vermehrt versuchen, eine Selbstständigkeit und ein selbstständiges Lernen ihren Schülerinnen und Schülern auf dem Weg zum Abitur mitzugeben. Das ist sicherlich richtig. Was wir aber nicht ändern können, das ist das eben beschriebene Phänomen, dass man in der universitären Ausbildung eine schlechte Note gänzlich löschen kann. Ich glaube aber was das Wichtigste ist, ist den Schülerinnen und Schülern eine Selbstständigkeit mitzugeben. Damit sie merken, hier muss man sich jetzt auf eine Klausur vorbereiten, bei der man schon merkt, dass es eng werden kann und wo man jetzt gucken muss, ob man sich eine Lerngruppe sucht oder sich mit Leuten verabredet. Damit man diese Selbstorganisation und Selbstmotivation hinbekommt. Das ist immer ein zweischneidiges Schwert, weil natürlich eine gute Lehrkraft auch eine ist, die ihre Leute motiviert und durch das geschickte Geben von Hausaufgaben zum Beispiel dazu anhält, immer am Ball zu bleiben. An der Universität muss man das ein Stück weit selbst übernehmen. Mit diesem Motivieren seitens der Lehrkräfte muss nicht schlagartig beim Wechsel von der zehnten in die elfte Jahrgangsstufe aufgehört werden, sondern das muss sich allmählich ausschleichen gelassen werden. In meiner Wahrnehmung ist das aber etwas, das in den letzten Jahren in den Schulen vermehrt geschieht. Da ist nicht jede Schule gleich, aber ich nehme das so wahr.

Das heißt, das Problembewusstsein hat sich in den letzten Jahren gesteigert, wenn es darum geht, dass das Schulsystem nicht mit dem Studiensystem korreliert?
Das haben Sie jetzt gesagt. Warum Schulen das jetzt vermehrt machen, da müssten Sie die Schulen fragen. Das kann ich nicht einschätzen. Aber dieses verstärkt die Schülerinnen und Schüler anhalten, sich selbst zu kümmern, das ist grundsätzlich etwas, das sicherlich gut ist. Und auch diese Kultur des Scheiterns mal zuzulassen. Man ist nicht gleich im falschen Studiengang, nur wenn man, nicht alles beim ersten Mal besteht. Was ich vor allem bei der Studienorientierung als eine wichtige Aufgabe von Schule ansehe ist, die Schülerinnen und Schüler in die Lage zur eigenen Selbstreflexion zu versetzen. Also sie zu befähigen, die eigenen Stärken und Schwächen zu kennen und einschätzen zu können. Das ist etwas, das außerordentlich wichtig ist, für die Studienorientierung. Etwas, das auch eminent wichtig ist, dann später im Studium zu wissen, wo die eigenen Lücken sind, wo man besonders viel für tun muss und wo man schon ganz gut drin ist. Dann kann man sich vielleicht eher darauf konzentrieren, die eigenen Schwächen auszugleichen. Das ist etwas, was wir in der Studienberatung beobachten, dass es Schülerinnen und Schüler oft nicht gut können. Sie können sich schlecht selbst einschätzen. Daher wünschen wir uns, dass da die Schulen vermehrt drauf eingehen. Gerade im jetzt neu konzipierten Fach »Berufliche Orientierung«.

Was empfehlen Sie denjenigen, die diese Selbstreflexion oder andere benötigte Kompetenzen auch ohne die derzeit fehlende schulische Förderung erreichen wollen?
In die Studienberatung kommen – wir machen das mit den Leuten. Die Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsagentur in der Abi-Beratung, oder das »Team akademische Berufe«, je nach dem, wie sie heißen, machen das auch. Ein allererster kleiner Schritt wäre einen der diversen webgestützten Selbsttests oder Neigungsfindungstests, die es gibt, zu machen. Je nach dem, was man so vorhat oder wie man so drauf ist, kann man uns da auch fragen. Wenn es schon eine bestimmte Studienrichtung gibt, können wir auch Tests empfehlen. Insbesondere die Arbeitsagentur hat mit ihrem neuen Selbsterkundungstool, das sie vor ungefähr einem Jahr an den Start gebracht hat, ein sehr gutes Testtool entwickelt. Den Leuten, die sich als völlig unbeschriebenes Blatt fühlen und so gar nicht wissen, wo es hingehen soll, empfehle ich als Einstieg meistens dieses Tool. Es ist ein gutes Selbsterkundungstool – ganz bewusst kein Test im Sinne von: man kann ihn bestehen oder durchfallen. Stattdessen gibt er eine Rückmeldung, wo die eigenen Stärken liegen. Damit würde ich anfangen.
Hervorragend finde ich es natürlich, wenn die Leute dann mit sowas in die Studienberatung kommen, also so einen Test schon gemacht haben. Da kann man sich Ergebnisse ausdrucken und dann kann man schon in einem Studienberatungsgespräch auf einem viel höheren Level einsteigen und meist auch ein viel besseres Ergebnis erzielen, als wenn da jemand so gänzlich unvorbereitet vorbeikommt und dann von mir erwartet, dass ich sage, was sie oder er studieren soll. Was ich natürlich nicht tun werde.
Das wäre ein erster Einstieg, den ich den Leuten anbiete. Aber gerade in Zukunft in dem neuen Unterrichtsfach »Berufliche Orientierung« in der elften Klasse ist eine Potentialanalyse vorgesehen. Wenn man die gut macht, dann ist das ebenfalls ein sehr gutes Rüstzeug für eine Studienorientierung.

Ich habe meine Fragen soweit gestellt. Haben Sie abschließend noch eine Sache, die sie zu diesem Themenkomplex loswerden möchten?
Ja, nochmal zu der Frage, was man als Schülerin oder Schüler machen sollte, wenn man die eigene Berufsorientierung außerhalb von der Schule ein bisschen selbst in die Hand nehmen will. Es sind immer zwei Sachen, was wir eben gesagt hatten: Selbstreflexion – die eigenen Stärken und Schwächen kennen – aber ebnen natürlich auch, das fachliche Anforderungsprofil einer bestimmten Studienrichtung kennen.
Studienorientierung ist ganz oft wie ein Abgleich. Dazu muss man beide Seiten, deren Passung man herausfinden will, kennen. Man muss sich selbst kennen: was man gut kann und was man will. Das Musikgymnasium ist der Klassiker: Nur weil man musikalisch besonders begabt ist, muss man trotzdem für sich nochmal den Zwischenschritt machen und die Entscheidung treffen, ob das der eigene Beruf werden soll. Gerade aus Ihrer Schule habe ich oft Schülerinnen und Schüler, die gut in Musik sind, aber für sich die Entscheidung getroffen haben, dass sie nicht berufsmäßig Musik machen möchten und stattdessen andere Talente berücksichtigen wollen. Das ist die Option, dass man Dinge gut kann – also eine Stärke, ein Talent hat – sie aber in der eigenen Berufs- und Studienorientierung trotzdem bewusst außer Acht lässt. Das ist nicht schlimm, aber man sollte es sich bewusst machen.
Dann im zweiten Schritt kommt die Frage, was für Studiengänge man in den Blick gefasst hat. Dafür muss man auch wissen, was diese für besondere fachliche Anforderungen haben. Dieser zweite Schritt ist auch nicht ganz einfach, weil man gut recherchieren muss und sich nicht einfach nur von den Titeln irgendwelcher Studiengänge leiten lassen sollte – die klingen natürlich irgendwie immer ein bisschen cool. Es sollte einem klar werden, was für Methoden und Arbeitsweisen verlangt werden; ob es ein sehr naturwissenschaftliches Studium ist, oder ob es eher in eine andere Richtung geht. Dieser Schritt ist nicht unbedeutend, denn mit dem Titel des Studiengangs ist nicht immer sofort alles gesagt.
Es gibt zwei typische Gründe, warum Studierende insbesondere in einer frühen Phase des Studiums abbrechen: Entweder sind das Leute, die es nicht geschafft haben, mit dieser Institution Universität zu Recht zu kommen. Die haben sich keine Lernroutinen entwickelt, sind oft allein, kennen also oft auch wenig andere Studierende – sind wenig vernetzt. Sie sind es aus der Schule gewohnt, dass man ihnen sagt, was sie machen sollen und wenn ihnen keiner sagt, dass sie sich für eine Prüfung vorbereiten sollen, machen sie nichts und fallen dann durch. Sie haben also kein Lernverhalten.
Die andere Gruppe sind die, die uninformiert in einen Studiengang reingestolpert sind und nach einem oder zwei Semestern aufwachen und merken, dass es etwas ganz anderes ist als das, was sie sich vorgestellt haben. Die brechen dann auch ab.
Gerade letzteres kann man durch eine solide Vorbereitung vermeiden. Wenn man sich also ein bisschen kümmert und rauskriegt, was von einem gefordert wird und um was es da wirklich geht. Mein Lieblingsbeispiel ist immer Meeresbiologie: das ist nicht Wale streicheln, sondern etwas anderes. Wenn man das rauskriegt, kann man sich die Frage beantworten, ob man da richtig ist oder nicht. Das muss man machen, da helfen wir auch bei.