Sie heißen Hannes Tieß und unterrichten Englisch und AWT/Wirtschaft. Stimmt das so?
Das ist korrekt.
Möchten Sie uns Ihr Alter verraten oder wie lange Sie schon als Lehrkraft unterrichten?
Ich bin 37 Jahre alt und bin in Deutschland seit Oktober 2012 als Lehrkraft unterwegs.
Waren die Fächer, die Sie heute unterrichten, auch Ihre Lieblingsfächer früher in der Schule oder wie kamen Sie auf diese Fächerkombination?
Tatsächlich, Englisch – keine Frage. Das hat auch etwas mit meinen Auslandsaufenthalten zu tun. Ich habe eine Zeit lang in den USA gelebt, bin dort zur High-School gegangen, habe studiert und dort auch gearbeitet. Daher fiel mir diese Wahl verhältnismäßig leicht, auch wenn ich sie vor meinem großen Auslandsaufenthalt getroffen habe. Sprachlich war ich etwas begabter als in den typischen naturwissenschaftlichen Fächern. Wirtschaft als solches gab es so gar nicht – wir hatten zwar AWT, aber das Fach an sich wurde unterrichtet von Geschichts-, Geografie- und Sozialkundelehrkräften, die sich die Themen untereinander aufgeteilt hatten. Wirtschaftsthemen sind auch gesellschaftspolitische Themen und die hängen unmittelbar miteinander zusammen. Durch diese Vielseitigkeit kam ich tatsächlich zum AWT-Studium.
Warum sind sie Lehrkraft geworden? Gab es ein einschneidendes Erlebnis?
Also ein einschneidendes Erlebnis war, dass ich kurz nach dem Abitur angefangen habe, als Fußballtrainer zu arbeiten. Das hat mir unheimlich viel Spaß gemacht und ich habe dann natürlich auch mal für mich reflektiert, was meine Stärken und Schwächen sind. Diese typische Berufsorientierung, wie wir sie heutzutage haben, gab es damals noch nicht. Das heißt, die erstbesten Begleiter waren letztlich die Eltern und somit habe ich mich mehrfach mit meinen Eltern hingesetzt und mit ihnen über meine beruflichen Möglichkeiten gesprochen. Mein Vater war es dann tatsächlich, der mir vor 16 Jahren vorgeschlagen hat, Lehrer zu werden.
Sie waren in den USA. Wann waren Sie das erste Mal dort?
Das allererste Mal zu Besuch war 1997. Ich war da 13 Jahre alt und in der siebten Klasse – daran kann ich mich sehr genau erinnern. Damals habe ich eine ganz typische Rundfahrt in den USA gemacht. Das war wirklich nur ein Urlaub. Drei Jahre später dann habe ich ein Auslandsjahr absolviert und bin an die High-School gekommen. Daher kommt auch meine Beziehung zu den USA.
Wo waren Sie?
In Tustin, Südkalifornien. Etwa eine Autostunde südlich von Los Angeles.
Haben Sie während Ihres Auslandsjahres einen US-amerikanischen Abschluss gemacht?
Ja, ich habe dort meinen High-School-Abschluss gemacht. Das ging nur deshalb, weil ich dort ein »Senior« war. Ich bin also in die zwölfte Klasse gegangen, obwohl ich eigentlich ein Elftklässler gewesen wäre. Für den Abschluss konnte ich mir viele Leistungen aus Deutschland pragmatisch und unproblematisch anrechnen lassen, aber dennoch musste ich bestimmte Fächer belegen, um den Abschluss zu erhalten. Zusätzlich hatte ich noch Vorgaben von meiner deutschen Schule, damit ich dort dann weiter machen konnte, wo ich aufgehört habe, ohne das Jahr wiederholen zu müssen.
Nachdem Lehramtsstudium sind Sie noch einmal in die USA gegangen und haben dort dann auch schon gearbeitet?
Exakt. Tatsächlich war es eigentlich so, dass ich sehr gerne reise. Für mich ist es eine tolle Erfahrung, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und sich mit anderen Perspektiven auseinanderzusetzen. Ich glaube, dass sollte man schon einmal in jungen Jahren gemerkt haben – wie das funktioniert und dass wir auf der Erde doch mit vielen Menschen Gemeinsamkeiten haben, die uns geografisch so fern sind. Vor diesem Hintergrund lag es einfach nah, noch einmal in die USA zu gehen. Es war dann tatsächlich so, dass ich während meines Studiums regelmäßig ins Ausland gegangen bin – für das »Erasmus-Semester« zum Beispiel. Als ich dann 2009 nach fünf Jahren mein Studium abgeschlossen hatte, war es eine denkbar schlechte Zeit, um als Lehrkraft mit der universitären Ausbildung fertig zu werden. Somit habe ich aus der Not eine Tugend gemacht und hatte dann glücklicherweise das Angebot für ein Stipendium bekommen, mit dem ich 2010 in den USA studieren konnte. Bevor ich damit angefangen habe, habe ich dann dort auch schon gearbeitet.
Also haben Sie dort Ihr Studium fortgesetzt und sind nicht direkt in den Schuldienst eingestiegen?
Genau, ich habe nicht direkt im Schuldienst angefangen, weil es keinen Weg dafür gab. Es war sehr schwierig, überhaupt eine Stelle in Deutschland zu bekommen. Ich hatte auch nicht so einen schlechten Abschluss: 1,6. Aber in ganz Mecklenburg-Vorpommern habe ich gar nichts bekommen, auch in elf anderen Bundesländern hatte ich mich beworben und es kam keine Referendariatsstelle dabei heraus.
In den USA sind Sie dann auch nicht direkt in den Schuldienst eingetreten?
Nein, ich habe in einem ganz anderen Bereich als Assistent für den Direktor des »Center for Global Education« – einer Koordinationsstelle für Studierende, die ins Ausland gehen wollen – gearbeitet. So habe ich ihm tagsüber geholfen und bin dann abends zur Uni gegangen.
War das auch in Kalifornien?
Ja, das war auch in Südkalifornien. Eigentlich lag das auf der Hand, aber ich hatte mich ein Jahr zuvor noch damit beschäftigt, mir andere Universitäten anzugucken. Dafür bin ich dann durch die USA gereist und habe Gespräche geführt, aber schlussendlich war das Stipendium ausschlaggebend. Meinen »Master« dort habe ich in »Internationalen Beziehungen« gemacht – es ist also ein komplett anderes Studium gewesen. Natürlich gab es auch da wieder Überlappungen und Überschneidungen mit wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen, aber im Kern war es doch etwas ganz anderes. Damit konnte ich mir tatsächlich einen Traum erfüllen und vieles miteinander verbinden.
Als Sie das Stipendium hatten, haben Sie den Aufenthalt in den USA dann als Überbrückung oder eher in Richtung Auswanderung geplant?
Als ich 2009/2010 rüberging, war es so, dass ich da eigentlich nur zum Studium hingegangen bin. Das war meine Grundannahme. Dann aber mit zunehmender Zeit habe ich nach zwei Jahren in einem ganz anderen Bereich als im Bildungswesen gearbeitet. Ziel der Firma in Südkalifornien, für die ich gearbeitet habe, war es, Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufen und mit völlig verschiedenen Interessen zusammenzubringen. Bei dieser Arbeit mit so vielen unterschiedlichen Menschen konnte ich gut netzwerken – sprich mir berufliche Kontakte aufbauen. Das hat mir neue Türen und Tore geöffnet und dann bin ich einfach erst einmal dageblieben auch, weil es sich nach dem Studium nicht mehr ergeben hatte zurückzugehen. Mit der Zeit hatte ich dann aber schon insgeheim das Bedürfnis, wieder zurückzukommen. Tatsächlich war es dann ein Anruf von der ehemaligen Chefin des Staatlichen Schulamts Rostock, Frau Kunze, die mich mitten in der Nacht kontaktiert hat, weil mein Vater ihr meine Nummer gab. Nach diesem ersten Gespräch habe ich dann auch eine Mail von ihr bekommen und so kam das eine zum anderen. Es war also wirklich Zufall, auch, wenn ich mich nach diesem Anstoß aktiv darum gekümmert habe, dass ich nach Deutschland ins Bildungswesen zurückkehre.
Die Schulamtsleiterin hat Sie also gesucht, weil Lehrkräfte gefehlt haben?
Zu diesem Zeitpunkt war es dann so. In kürzester Zeit drehte sich das Blatt auf einmal und es wurde gerade für den Bereich Werken und Technikunterricht, was ja zu Wirtschaft zählt, händeringend nach Lehrpersonal gesucht. So kam dann das eine zum anderen: Mein Studium in den USA war beendet, ich wollte zurück zu meiner Familie und hatte auch einen Anlass dafür. In den Vereinigten Staaten habe ich nämlich gemerkt, dass ich wieder unterrichten möchte. So gerne ich die Erfahrungen drüben gemacht habe – sie sind es wert; und so dankbar ich dafür bin, dass ich das machen und erleben konnte, bin ich jetzt sehr froh, dass ich wieder hier bin und das mache, was ich machen kann und darf.
Nutzen Sie Ihren Master in »Internationalen Beziehungen« aus den USA heutzutage beruflich oder haben Sie hier eine Vollzeitstelle als Lehrer?
Momentan bin ich nur zu 25% an der Schule, dementsprechend ist auch mein Stundenkontingent verhältnismäßig gering. Die nächsten zwei Jahre bin ich auf jeden Fall noch bei der Universität Rostock, dort bin ich im Bereich der Fachdidaktik zuständig für die Ausbildung neuer Lehrkräfte. Daher habe ich momentan fast gar nichts mit meinem früheren Arbeitsfeld zu tun.
Planen Sie, diesen Abschluss später einmal zu nutzen?
Ein Abschluss in diesem Bereich öffnet einem viele Türen und Tore – so war es auch in den USA der Fall. Doch momentan sehe ich gar nicht die Notwendigkeit, etwas zu ändern, weil es mir so gut geht und ich gerne das mache, was ich gerade mache. Wenn man etwas herumspinnt, klar könnte man das noch machen. Ich bin der Meinung, noch jung genug zu sein, um später noch etwas anderes machen zu können. Allerdings bin ich wirklich glücklich als Lehrer und ich hoffe, man merkt auch, dass ich gerne zur Schule gehe und dass ich gerne junge Menschen unterrichte. Insofern sehe ich da momentan keinen Bedarf dran, etwas zu ändern.
Dann bleiben wir bei Ihrer Tätigkeit hier an der Schule. Sie haben sicher früher an Ihren Lehrkräften bestimmte Eigenschaften, bestimmte Methoden gemocht. Setzen Sie diese heute selbst um?
Mir geht es darum, dass ich den Schülerinnen und Schülern für ihre schulische und dann später auch berufliche Entwicklung etwas mitgebe. Daher denke ich, dass man über den reinen Fachunterricht hinausgehen sollte – wir arbeiten ja beispielsweise jetzt schon themen- und fächerübergreifend.
Was ich darüber hinaus als eine grundlegende Methodik für meinen Unterricht festgelegt habe ist der Umgang miteinander. Für mich kommt Respekt anderen gegenüber nicht durch das Alter oder den Studienabschluss, sondern durch das, was ich mache und wie ich es umsetze. Da geht es mir tatsächlich um ganz normale Fähigkeiten und wie man miteinander umgeht. Beispielsweise gegenseitiger Respekt, den man hat und haben sollte. Ich denke, das ist eigentlich die Basis des Zusammenarbeitens.
Wenn die Basis das gemeinsame Miteinander ist, beziehen Sie dann ihre Schülerinnen und Schüler in die Auswertung Ihres Unterrichts mit ein?
Also ich versuche es so gut wie möglich zu machen. Das Ganze fällt mir leichter, umso älter die Schülerinnen und Schüler sind. Das mache ich, weil ich möchte, dass die Schülerinnen und Schüler Wünsche äußern und so mitwirken können. Wir haben Räume zur freien Gestaltung in den Rahmenplänen, die uns zur fachlichen und pädagogischen Umsetzung zur Verfügung stehen und gemeinsam gestaltet werden können. Ich finde es wichtig, dass man die Schülerinnen und Schüler aktiviert, damit sie wissen, dass sie in bestimmten Themenbereichen mitmachen und mitgestalten können. Zudem frage ich mich auch, welche Themen euch im Moment interessieren – gerade im Bereich Englisch kann man da vieles integrieren. Das merke ich auch an der Universität: es gibt hervorragende methodische und wissenschaftliche Möglichkeiten, die aber nicht eingesetzt werden. Das hat unterschiedliche Gründe: einerseits kann es mit der Lehrkraft zu tun haben, andererseits kann man auch immer nur das umsetzen, wofür man die nötige Infrastruktur zur Verfügung hat.
Das heißt, Sie bräuchten für die Umsetzung der neuen oder besseren Methodik mehr Infrastruktur?
Es würde auf jeden Fall helfen. Technische Infrastruktur würde auch insofern helfen, als dass man den Lehrkräften unter die Arme greift und ihnen sagt, womit konkret Unterricht gestaltet werden kann. Den Schülerinnen und Schülern hilft man so ja letztendlich auch. Ich bin für mich aber trotzdem immer noch der Meinung, dass lernen ein sozialer Prozess ist. Er sollte im Rahmen der Schule stattfinden, wo genau – ob drinnen oder draußen – ist grundsätzlich nicht das Thema, denn es gibt unterschiedliche Lernorte. Genau dieser Prozess, den man zusammen bestreitet, kommt momentan in der digitalen Form zu kurz. Um das auszumerzen gibt es Formen des digitalen Unterrichts, für den uns aber derzeit die Infrastruktur fehlt. Aber selbst mit derartigen Verbesserungen würde der digitale Unterricht für mich eine Ergänzung bleiben, damit die Interaktion mit den Schülerinnen und Schülern nicht zu kurz kommt. Wie dringend die Interaktion ist, hat man gemerkt, als man sie mehrere Wochen und Monate nicht hatte – da hat sie uns allen gefehlt.
Was würden Sie sich als Infrastruktur konkret wünschen?
Ich würde mir zunächst tatsächlich ein ganz anderes Narrativ wünschen – es sollte daher nicht als Last empfunden werden, den Unterricht digital zu gestalten. Laptops und Internetanschlüsse können natürlich helfen, aber das alles bringt nichts, wenn jeder sein eigenes Ding macht. Man sollte daher bestmöglich transparent vorgehen und ich denke, was das angeht, stecken wir momentan noch in den Kinderschuhen – auf unterschiedlichen Ebenen: schulisch genauso wie im Großen und Ganzen auf Landesebene. Gerade da hat uns die Corona-Krise gezeigt, wo wir Defizite haben. Man kann jetzt nicht erwarten, dass sich das sofort bessert, aber man kann erwarten, dass daran gearbeitet wird. Ich denke, das passiert auch nach und nach. Aber da dieser Prozess Zeit in Anspruch nimmt, kann es manchmal etwas frustrierend sein.
Welches Ihrer Hobbys lässt Sie sich vom Schulalltag erholen?
Tatsächlich muss ich zunächst einmal sagen, dass ich in der Schule zwar arbeite, es aber trotzdem angenehm für mich ist. Dennoch habe ich Hobbys und Freizeitinteressen. Ich gehe sehr gerne Kitesurfen oder Segeln, bin daher Wassersportler durch und durch. Außerdem bin ich ein leidenschaftlicher Gärtner – was ich nie gedacht hätte. Mittlerweile verbringe ich sehr viel Zeit im Garten, auch weil man das Resultat seiner Arbeit unmittelbar sieht – gewissermaßen ein Ausgleich zu meinem Beruf. Als Lehrkraft nimmt es Jahre in Anspruch, eine Klasse bei ihrer Entwicklung von der fünften bis zur zwölften Jahrgangsstufe zu begleiten. Was die eigene Arbeit gebracht hat, sieht man dann meistens erst nach Jahren – oder beim Klassentreffen.
Üben Sie Ihre Hobbys Kitesurfen und Segeln im Verein aus?
Ich habe es tatsächlich eine Zeit lang im Verein gemacht, im Rostocker Yachtclub. Das hat mir auch unnormal viel Spaß gemacht, aber es ist sehr zeitintensiv und sehr bindend – vielleicht bin ich dafür etwas zu individuell. Ich bin aber trotzdem nie allein auf dem Wasser, gestalte mir diese Zeit aber lieber selbst als im typischen Verein mit all seinen Verpflichtungen. Solche Verbindlichkeiten hatte ich ja bis zum Ende meiner Schulzeit und danach auch noch als Fußballtrainer – von daher bin ich momentan nicht ganz undankbar, wenn ich da etwas freier bin.
An dieser Stelle bedanke ich mich für das Interview.